Die Kunst von Sonja Koczula verstört

Katalogtext von Lars Distelhorst zur Ausstellung in Haselünne

Die Kunst von Sonja Koczula verstört.

Etwas Beunruhigendes geht von diesen Bildern aus, den so kraftvollen Formen, die dem Betrachter ins Auge springen und ihm von Dingen erzählen, die sich im nächsten Moment wieder entziehen. Nicht selten reagieren die BetrachterInnen auf diese Erfahrung, indem sie in den Bildern von Sonja Koczula nach Spuren einer Realität suchen, vor deren Abbild sie nun stehen – abstrahiert, aber dennoch mit der Wirklichkeit verbunden. "Schau mal, das sieht aus wie ein Flugzeug!", könnte es dann heißen. Doch kaum hat der Betrachter durch diese Rückführung seine Ruhe wiedererlangt, gerät alles wieder ins Wanken, da neue Interpretationen sich anbieten, ein Spiel ohne Ende. Die Erfahrung, vor einem der Bilder von Sonja Koczula zu stehen, wird so zur Erfahrung eines Sinns, der immer nur provisorisch ist, für einen kurzen Moment besteht und vergeht.


Es handelt sich bei den so vehement in den Vordergrund fallenden Formen nicht um Abbilder einer Realität, sondern rein um das Zeichen an sich. Genau dies macht den verstörenden Charakter der Bilder aus. Zeichen strukturieren unser Leben. Ob wir die Tageszeitung lesen oder mit dem Auto fahren: sie geben uns die Sicherheit, derer wir bedürfen, ein Gefühl von Stetigkeit und Halt. Im Zeichen ist die Bedeutung der Welt eingeschlossen und seine Festigkeit sorgt dafür, das wir uns verständigen können. Jedem Zeichen ist eine bestimmte Bedeutung zugeordnet, die sich erschließen lässt, indem wir die Spur zurückverfolgen, mit der beides, Zeichen und Bedeutung, verbunden ist.


Genau hier setzt Sonja Koczula an. Ihre schwarzen Grapheme sind als Zeichen auszumachen, jedoch als solche, die sich der traditionellen Lesart verweigern und somit unseren Gewohnheiten zuwiderlaufen. Da die Bedeutung eines Zeichens aber stets nur eine instabile Interpretation des Betrachters ist, wird die Zeichen und Bedeutung verbindende Spur unendlich lang. Sie führt nirgendwohin, der Sinn entzieht sich, ohne sinnlos zu werden. Was wäre, wenn diese Entleerung des Zeichens auf die Welt unserer vermeintlich so festen Bedeutungen übergriffe?


Fragen dieser Art werden nicht zuletzt durch die Positionierung des Zeichens auf der Leinwand entfacht. Das Format vermag sie nicht zu bannen. Wir sehen immer nur einen Teil des Zeichens. Wir ahnen: wäre die Leinwand größer oder hätte die Künstlerin die Möglichkeit gehabt, über sie hinauszumalen, würden wir mehr sehen. Dies führt zu einer weiteren Destabilisierung des Sinns und darüber hinaus zu ihrem Übergreifen auf den zuvor noch sicher geglaubten Raum.


Doch nicht nur der Raum wird von diesen Bildern ergriffen, auch die Zeit. Das geschriebene Zeichen ist uns als etwas bekannt, das in einem ruhigen, gleichmäßigen Akt entsteht, einem Akt, der die Zeit gebändigt hat. Anders ist es hier. Die Dynamik der Bilder lässt erkennen, wie schnell einige Teile entstanden sind und wie langsam andere. Verschiedene Formen der Zeitlichkeit verbinden sich zu einem Zeichen und setzen es einer Spannung aus, die ihm den letzten Rest seiner vermeintlichen Sicherheit nehmen.


Nicht zuletzt entspricht all dem auch die Arbeitsweise der Künstlerin Sonja Koczula. Ihre Arbeitsmethode ist das gestische Malen. Das Bild wird von allen Seiten angegangen, aus allen Richtungen bearbeitet. Oben und Unten, Rechts und Links: diese für das Schreiben so wichtigen Unterscheidungen, werden auf den Kopf gestellt, zugunsten eines Schreibens, das nicht länger darauf zielt, den Sinn zu bändigen, sondern ihn freizulassen.

 

Lars Distelhorst

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